AvD Fahrbericht: Mercedes-Benz S 400 d 4Matic
Mit fast 5 Metern Länge könnte im Inneren der S-Klasse das ein oder andere Highlight warten.
Frei vom Verdacht falscher Bescheidenheit hat sich Mercedes 2010 eine Aussage Gottlieb Daimlers als Markenclaim zu Eigen gemacht und mit „Das Beste oder nichts“ unmissverständlich und schnörkellos den eigenen Anspruch formuliert. Klar, dass sich daran ganz besonders die aktuelle elfte Generation der S-Klasse messen lassen muss. Denn zur DNA des Stuttgarter Leuchtturm-Modells gehört es seit jeher, das beste Auto auf dem Markt sein zu wollen und den Wettbewerbern zu zeigen, wo der Hammer hängt.
Exterieur
Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Erscheinungsbild der im Herbst 2020 gestarteten Baureihe W223 kaum vom Vorgänger. Etwas länger (+63 Millimeter), etwas breiter (+55 Millimeter), ein Quäntchen höher (+7 Millimeter) wirkt der 223er eher wie ein umfassendes Facelift. Offenbar stand den Exterieur-Designern der Sinn nach Evolution und nicht nach Revolution. Dennoch ist alles neu und die neue S-Klasse zählt mit einem Luftwiderstandsbeiwert von Cw=0,22 nicht nur zu den strömungsgünstigsten Autos überhaupt, mit diesem Wert setzt sie auch den neuen Bestwert in ihrer Klasse.
Als augenfälligste Unterschiede fallen zunächst die neu gestalteten, jetzt deutlich schmaler ausgeführten Leuchten vorne und hinten ins Auge sowie der noch etwas weiter nach unten reichenden Kühlergrill. Erst ein genauer Blick offenbart, dass es sich um eine vollständige Neukonstruktion handelt, bei der kein Karosserieteil vom Vorgänger übernommen wurde, was nicht zuletzt der beim Standardmodell um 71 auf 3.106 Millimeter gewachsene Radstand belegt. Die Verlängerung der „L“-Variante fällt bei der Neuauflage mit einer Verlängerung um 110 Millimetern an Gesamtlänge und Radstand ein kleines bisschen knapper aus als beim Vorgänger, der jeweils ein Plus von 130 Millimeter zu bieten hatte.
Weitere Auffälligkeiten im Außenbereich sind die zur weiteren Verbesserung des Luftwiderstands versenkten Bügelgriffe in den Türen. Als Bestandteil des optionalen Keyless-Go-Systems fahren die nur dann aus der Versenkung, wenn der Autoschlüssel dem Auto von außen nahe kommt. Die Türen werden aber erst entriegelt, wenn der Schlüsselträger die Hand auf einen der Griffe legt. Nach dem Losfahren ziehen sich die Türgriffe dann wieder dezent zurück. Diese technische Finesse hat allerdings mit € 1.428,- ihren Preis.
Kraftvolle und komfortable Fahren
Dass das Gewicht um 25 Kilogramm auf 2.070 Kilo gesenkt werden konnte, macht sich im Fahrbetrieb ebenso wenig bemerkbar, wie die um 7 kW (10 PS) auf jetzt 243 kW (330 PS) gesenkte Leistung. Mit seinem bulligen Drehmoment von 700 Nm zwischen 1.200/min und 3.200/min drückt das Dreiliter Diesel-V6 die große Limousine nachdrücklich nach vorne. Auch jenseits dieses Drehmoment-Tafelbergs stellt sich nie das Gefühl mangelnder Kraft ein, auch nicht bei Losfahren aus dem Stand. Das ist auch ein Verdienst des Automatikgetriebes mit seinen sehr gut auf die Leistungscharakteristik des Motors abgestimmten neun Fahrstufen. Der serienmäßige Allradantrieb (4Matic) sorgt für weitgehend schlupffreien Vortrieb und hohe Richtungsstabilität auch in Kurven. Als limitierender Faktor erweisen sich eher die am Testwagen verbauten Sportreifen (Pirelli P Zero) im Format 255/45 R19, die bei Nässe relativ früh zum Aufschwimmen neigten.
Der Top-Diesel ist derzeit die meistverkaufte Antriebsvariante der S-Klasse in Deutschland. Kein Wunder, erweist er sich doch bereits nach wenigen Metern als Idealbesetzung für den Maschinenraum. Kultiviert und leise verrichtet das Aggregat seinen Dienst. Das Arbeitsgeräusch gelangt nur sehr gedämpft an die Ohren der Passagiere, als läge seine Quelle weit entfernt. Allenfalls bei voller Beschleunigung meldet sich der Sechszylinder vernehmlicher zu Wort. Das sei ihm aber auch zugestanden, denn so ein Trumm von Auto in gerade einmal 5,4 Sekunden von null auf Tempo 100 zu wuchten, ist nicht von Pappe. Und wenn es die Verkehrsdichte auf der Autobahn zulässt, ist die abgeregelte Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h rasch und fast schon beiläufig zu erreichen. Die sehr wirkungsvoll arbeitende Bremsanlage bietet ein gutes Ansprechverhalten, lässt sich feinfühlig dosieren und zeigt auch nach mehrmaligem hartem Abbremsen aus hohen Geschwindigkeiten keinerlei Fading.
Das Fahrwerk trägt einen wesentlichen Anteil zu den guten Fahreigenschaften und dem außerordentlichen Komfortgenuss bei, indem es die Insassen weitgehend von den Unzulänglichkeiten der Fahrbahnoberfläche entkoppelt, ohne dabei ein indifferentes oder gar schwammiges Fahrgefühl entstehen zu lassen. Das Gefühl einer satten und sicheren Straßenlage ist stets vorhanden. Das gilt uneingeschränkt auch dann noch, wenn der Mensch am Volant den Schalter der obligatorischen Fahrdynamik-Regelung auf „Dynamik“ stellt und damit nicht nur den Dämpfern der serienmäßigen Luftfederung eine straffere Kennlinie verpasst, sondern auch für eine direktere Lenkübersetzung sorgt und die Gasannahme unmittelbarer gestaltet. Zumindest im Prinzip. Denn welche Einstellung gewählt wird, scheint der S-Klasse herzlich egal zu sein. Das Fahrwerk fühlt sich nur eine Nuance fester an, dank des fülligen Drehmoments fällt es fast nicht auf, dass Bewegungen des Gaspedals nun direkter umgesetzt werden, allein Richtungswechsel erfordern im „Dynamik“-Modus nun weniger Lenkarbeit. Kurvenreiche Strecken erledigt die S-Klasse für ein derart großes Auto in jedem gewählten Fahrprogramm durchaus flott und sicher. Doch die Neigung des Aufbaus zeigt, dass flott durchfahrene Kurven nicht die bevorzugten Verbindungen zweier Punkte sind. Das gehört aber auch nicht zur Kernkompetenz derartiger Fahrzeuge.
Das gilt auch für das Verkehrsgewusel in der Innenstadt. Doch für ein rund fünf Meter langes und zwei Meter breites Auto lässt sich die S-Klasse erstaunlich flink behände bewegen. Auch schmale Einbahnstraßen, enge Parkhäuser und knappe Einfahrten gerieren sich nicht als Herausforderung, weil sich die Limousine trotz ihrer Abmessung als erstaunlich übersichtlich erweist, was auch der Unterstützung durch Park-Piepser und Kameras zu verdanken ist, die akustisch sowie mit optischen Darstellungen auf dem großen Bildschirm hilft, Kontakt zu vermeiden. Richtig großes Kino wird dann beim Rangieren geboten, wenn die optionale Hinterachslenkung (€ 1.547,-) an Bord ist. Beim Rangieren dreht sie die Hinterräder gegenläufig mit einem Lenkwinkel von bis zu 10 Grad ein, was den Wendekreis um zwei Meter verkleinert. In der Praxis lässt das den Eindruck einer ausgesprochenen Gelenkigkeit entstehen. Die S-Klasse scheint geradezu auf der Hinterhand zu drehen und erzeugt so eine Wendigkeit wie die eines Kompaktmodells. Bei höheren Geschwindigkeiten lenkt die Hinterachse in die Lenkrichtung der Vorderräder mit, was bei Spurwechseln oder in Kurven die Stabilität zusätzlich verbessern soll. Mag sein, gespürt haben wir das nicht, was wohl auch mit der ohnehin schon sehr guten Straßenlage zusammenhängt. Dennoch ist die Hinterachslenkung eine klare Kaufempfehlung.
Interieur
Anders als durch das Design der Karosserie unterscheidet sich die neue S-Klasse innen auf den ersten Blick erkennbar vom Vorgänger. Hier hat es bei Gestaltung des Armaturenbereichs einen Paradigmenwechsel gegeben: Das bisherige Widescreen-Konzept mit dem sich direkt an die Armaturen anschließenden Zusatzbildschirm für Infotainment, Sound-System und Einstellung der Komfortfunktionen ist nun passé. Stattdessen platzieren die Innenraum-Designer nun einen mächtigen, hochauflösenden Touch-Bildschirm im Hochformat mit 23,9 Zentimeter Höhe und 21,9 Zentimeter Breite auf die Mittelkonsole. Gegenüber dem Vorgänger bietet das neue OLED-Display damit 64 Prozent mehr Bildschirmfläche. Dahinter versteckt sich eine Ablagemöglichkeit, in der ein Smartphone oder ein Brillenetui Platz findet. Der Mercedes-typisch an die Lenksäule gewanderte Gangwahlhebel macht Platz für ein großes Ablagefach auf dem Mitteltunnel. Das auch weiterhin unmittelbar hinter dem Lenkrad platzierte und vollständig als Digitalanzeige ausgeführte Kombiinstrument, hat zwar mit einer Bildschirmdiagonale von 12,3 Zoll nicht an Format zugelegt, bietet nun auf Wunsch aber auch die Darstellung seiner Anzeigen in 3D. Die Einstell- und Individualisierungsmöglichkeiten wurden außerdem noch vielfältiger.
Die Anmutung des Interieurs ist ohne Fehl und Tadel. Die verwendeten Materialien machen allesamt einen hochwertigen Eindruck und sind bis ins Detail penibel verarbeitet. Wenn man partout etwas kritisieren will, dann allenfalls die überraschend schwache Empfangsleistung des serienmäßigen DAB-Radios, das Sender deutlich früher verliert, als wir s von den gängigen UKW-Radios gewohnt sind. Dafür überzeugt das optionale Burmester 3D-Surround-Soundsystem (€ 1.558,90) mit einem transparenten, detailreichen Klang.
Das ab 1. Quartal 2022 verfügbare Aktiv-Multikontursitz-Paket (€ 2.380,-) steigert das Komforterlebnis für die vorne Sitzenden nochmals deutlich. Umfangreich elektrisch verstellbar lassen sich die Sitze jeder Körperstatur individuell anpassen. Über integrierte Luftkissen lassen sich die Sitzfläche ebenso wie die Lehnenwangen einstellen. Die Lordosenstütze kann auch durch vertikale Positionierung in der Lehne dem unteren Lendenwirbelbereich angepasst werden. Dass ein solches Komfortgestühl nicht nur beheizbar ist, sondern auch über eine kühlende Belüftung verfügt, gehört zum guten Ton. In der S-Klasse bieten die Premiumsitze aber auch noch eine umfangreiche Palette von 10 Massageprogrammen, die von Hot Relaxing Massagen für Rücken und Schulterbereich, über eine Tiefenmassage, ein Tiefenworkout, eine Wellenmassage bis hin zur Mobilizing Massage beinhalten.
Gut temperiert und durchgeknetet lassen wir uns unserem Ziel entgegen navigieren. Das funktioniert prima, auch weil die serienmäßige Premium Navigation per Augmented Reality die per Kamera aufgenommenen Live-Bilder mit den digitalen Richtungspfeilen zusammenbringt. Das passiert nicht allein auf dem großen Zentraldisplay, sondern auf Wunsch – und zu einem Aufpreis von € 3.796,10 – auch im Augmented Reality Head-up-Display, wo die Richtungspfeile optisch über der zu wählenden Fahrbahn zu schweben scheinen oder genau in die Straße hinein weisen, die es zu nehmen gilt. In dem gegenüber dem weiterhin verfügbaren „klassischen“ Head-up-Display (€ 1.011,50) nutzt die Augmented-Variante ihre deutlich größere Anzeigefläche auch, um beispielsweise Abstandsangaben zum vorausfahrenden Fahrzeug zu visualisieren.
Angesichts all der gebotenen Perfektion fallen kleine Schwächen noch unmittelbarer ins Auge. In der S-Klasse war diese Kleinigkeit die Bedienelemente auf den Lenkradspeichen. Die sind zwar kaum zahlreicher als in einer A- oder E-Klasse, doch nun als Sensoren zum Wischen per Daumen ausgeführt. Der gute alte Wipptaster und die Bedienwalze sind verschwunden. Das verleiht dem Lenkrad zwar insgesamt einen cleaneren Look, erweist sich wegen mangelnder Bedienpräzision als Rückschritt. Bei unserem Testwagen handelte es sich aber offenbar um ein Exemplar aus der Vorserie und es ist gut vorstellbar, dass Mercedes diesen kleinen Schwachpunkt zum Auslieferungsstart bereits ausgemerzt hat.
In Sachen Sicherheits- und Fahrerassistenz-System hat die S-Klasse der Generation W223 das volle Programm zu bieten: Abstandsregel-Tempomat, Geschwindigkeitslimit-Assistent, Stau-Assistent, Lenk-Assistent, Spurwechsel-Assistent, Nothalt-Assistent, Brems-Assistent, Ausweich-Lenk-Assistent, Spurhalte-Assistent, Totwinkel-Assistent – alles ist in jeder Version der S-Klasse bereits Teil der Serienausstattung. Auf Wunsch steht auch eine Gestensteuerung (€ 642,60) zur Verfügung oder ferngesteuertes Parken (€ 1.844,50). Und als erster Hersteller weltweit hat Mercedes für die S-Klasse eine behördliche Genehmigung zum hochautomatisierten Fahren (Level 3) erhalten. Dann wird der Autopilot auch für eine längere Strecke das Steuer übernehmen, ohne dass der Fahrer die Hand am Lenkrad lassen muss. Dieser wird sich aber auch dann nicht ganz vom Verkehrsgeschehen verabschieden können, weil der Mensch weiterhin in der Lage sein muss, die Fahrzeugkontrolle mit wenigen Sekunden Vorlauf wieder zu übernehmen. Dennoch: Die S-Klasse hat damit als erster Personenkraftwagen überhaupt diesen technologischen Meilenstein passiert.
Kosten
Eine neue S-Klasse zu fahren ist ein durchaus erschwingliches Vergnügen. Zumindest, wenn es allein ums Tanken geht. Denn mit einem Testverbrauch von durchschnittlich 8,8 Litern Diesel pro 100 Kilometer, kann sich die allradangetriebene Zwei-Tonnen-Limousine durchaus sehen lassen. Schließlich waren wir überwiegend auf schnellen Autobahnetappen und mit viel Stop-and-go im Frankfurter Stadtverkehr unterwegs. Die Werksangabe von 8,0 Litern dürfte sich daher im Alltag problemlos erreichen lassen. Doch vor dem Fahren steht der Erwerb. Und da beginnt für die meisten Zeitgenossen das Problem.
Denn die aktuelle S-Klasse kostet mindestens € 97.806,10 – ohne jedes Extra. Der von uns gefahrene Mercedes-Benz S 400 d 4Matic startet bei € 108.635,10, der sehr gut ausgestattete Testwagen brachte es auf immerhin € 140.152,25. Selbstverständlich geht es auch noch teurer. Beim Top-Benziner S 580 4Matic mit verlängertem Radstand geht es erst bei € 130.055,10 los und wenn es statt eines Mercedes-Benz gar ein Mercedes-Maybach sein soll…? Ach, lassen wir das lieber. Auch bei Wertverlust, Werkstattkosten und Versicherung sollten Interessenten weit mehr als nur die Cent-Beträge der Listenpreise schnuppe sein. Eine weit fortgeschrittene Vermögensbildung wäre vielmehr hilfreich.
Technische Daten des Mercedes-Benz S400 d 4Matic
Fazit
Am Ende unserer ausführlichen Kontaktaufnahme mit der aktuellen S-Klasse fällt das Fazit eindeutig aus, denn sie erfüllt eindeutig den selbst gesetzten Anspruch. Die S-Klasse von Mercedes ist derzeit die beste Limousine ihrer Klasse. Das Flaggschiff des Stuttgarter Autobauers hat die Grenze des technisch machbaren wieder ein Stückchen weiter geschoben. Als jüngster Protagonist im Reigen der Wettbewerber von BMW, Audi und Jaguar muss das aber auch so sein. Denn klar ist: Die Nachfolger von BMW 7er sowie Audi A8 stehen bereits in den Startlöchern und auch der seit 2009 gebaute Jaguar XJ befindet sich am Ende seines Produktlebenszyklus. Doch hat die S-Klasse die Messlatte ganz schön hoch gelegt. Und an die müssen die Konkurrenten erst einmal herankommen.
Veröffentlicht am 03.01.2022 in Rund ums Auto.
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